Einfallswinkel gleich Ausfallswinkel


Ein Spiel, das einst das Privileg der Könige und Mächtigen war: Das klassische Karambolage-Billard.

Während sein amerikanischer 'Vetter', das Pool-Billard, dank seiner Medienwirksamkeit immer mehr Interessenten anzieht, gerät die klassische Partie scheinbar in Vergessenheit: Meisterlich gespielt ist sie ein Leistungssport, der das logische Denken eines Schachspielers, die physische Kondition eines Dauerläufers und die ruhige Hand eines Konzertpianisten erfordert.

Dem ästhetischen Reiz des klassischen Billards wird sich niemand entziehen können, der einmal Zeuge einer Partie zwischen wirklich guten Spielern geworden ist. Die ruhigen, konzentrierten Bewegungen der Akteure, die mathematische Präzision, mit der die Kugeln einmal angestoßen ihre oft überraschend komplizierten Bahnen auf dem Tisch ziehen, die klaren Farben und Formen des Spielgeräts und das leise Klicken, mit dem die Kugeln bei ihrer gegenseitigen Berührung eine geglückte Karambolage signalisieren, all das übt eine Faszination auf den Betrachter aus, die zur Nachahmung ermuntert. Der Schwung, mit dem so mancher enthusiastische Anfänger zum Billard-Stock, dem 'Queue' (sprich: Köö), greift, um die drei Kugeln auf dem Tisch nach den Regeln der Physik zum Tanzen zu bringen, verliert sich allerdings nicht selten in der Einsicht, daß auch beim Billard vieles zunächst einfacher aussieht als es in Wirklichkeit ist. Je nach Charakter wird dann entweder die Herausforderung, die Spielgerät und Regeln bieten, angenommen und ein systematischer Einstieg in die Billard-Kunst gesucht, was Zeit, Geduld und einiges an Übung erfordert. Oder das Queue wird mit einer unschmeichelhaften Bemerkung wieder endgültig in die Ecke gestellt. Die Kunst des Billardspiels wird auch dies überstehen, wie so vieles andere nun schon seit einigen Jahrhunderten.

Als der Hochadel noch eine ruhige Kugel schob
Die Ursprünge des Billardspiels verlieren sich im Dunkel der Vergangenheit. Versuche, einen 'Erfinder' dieses edlen Zeitvertreibs historisch dingfest zu machen, blieben von zweifelhaftem Erfolg gekrönt, weil nahezu jede europäische Kulturnation ihren Teil zur Legendenbildung um dieses Spiel beigetragen hat. Schließlich gehört das Spiel mit Kugeln und Bällen zu den Urideen der Menschheit. Festeren historischen Boden betreten wir erst im 16. Jahrhundert. So taucht in einer Inventarliste der Besitztümer der französischen Fürstin Charlotte d'Albert aus dem Jahr 1514 nachweislich ein Billardtisch auf. 1578 beklagt sich die glücklose Königin Maria Stuart von Schottland darüber, dass man ihr während ihrer Haft auch ihren Billardtisch weggenommen hatte.

Zur echten Modeerscheinung unter dem europäischen Hochadel wurde das raffinierte Spiel mit den Kugeln spätestens, nachdem die Leibärzte Ludwig XIV. ihrem 'Sonnenkönig' das Billard als Körperertüchtigung empfohlen hatten. Die ursprüngliche Beschränkung des Spiels auf die Kreise des wohlhabenden Adels hatte seine guten, da materiellen Gründe. Wer sonst konnte sich schon im 17. oder 18. Jahrhundert die teuren Tische, Elfenbeinkugeln und Edelholzqueues leisten? Erst nach der Französischen Revolution und dem damit verbundenen Wegfall der vielerorts üblichen fürstlichen Genehmigungspflicht für das Aufstellen öffentlicher Billardtische gewinnt das Spiel bürgerliche Züge. Auch im 19. Jahrhundert bleibt die 'Grande Nation' Billard-Großmacht Nummer eins, die wesentliche Beiträge zur Verfeinerung des Spielgeschehens liefert. So kam um 1807 der Franzose Francois Mingaud auf die Idee, die Spitze des Queues mit Leder zu überziehen, womit erstmals Effetstöße möglich wurden. Diese große Tradition erklärt auch, warum sich das klassische Billard in Frankreich noch heute einer Beliebtheit erfreut, wie sie hierzulande bestenfalls für das Skatspiel zu finden ist. In einem Punkt unterscheidet sich das Billard von fast allen Kugel- und Ballspielen: Die tadellose Beschaffenheit des Spielgeräts macht das Spielen erst möglich. Ein unebener Tisch, eine fehlerhafte Bespannung, ein krummes Queue oder nicht völlig runde Kugeln machen aus dem technisch und taktisch berechenbaren Partiegeschehen ein reines Glücksspiel, was Billard nun wirklich nicht sein sollte. Nur einwandfreies Gerät erlaubt die virtuose Anwendung der physikalischen Gesetze, die für alle Formen des Billards die eigentliche Voraussetzung bildet.

entnommen dem 'Familien Magazin der Sparkassen Hannover' vom Januar 1988