Geschichte des Billardspiels
von Heinrich Weingartner (Wien)
Vom Boden auf den Tisch
Die Wurzeln des Billardspiels liegen im 12. und 13. Jahrhundert, in einer Zeit,
wo noch alle heute bekannten Kugel- und Ballspiele miteinander verwandt bzw.
vermischt waren und keine allzu großen individuellen Ausprägungen besaßen. Es
gab damals nur zwei grundlegend unterschiedliche Ballspielgattungen: das
Hin-und-Herspiel und das Treibball-Spiel. Billard hat sich aus der zweiten
Gattung entwickelt, wobei eine spezielle Art, das Mailspiel, in Hinsicht auf das
Billard besonders interessant ist. Bei diesem Spiel wurde ein Ball mit einem
kleinen Holzhammer am Boden getrieben. Man sieht darin auch einen direkten
Vorläufer des Kricketspieles, des Golf, des Krocket, des Hockey und des Billard.
In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurde das "Bodenbillard" auf den Tisch
gehoben und entwickelte sich eigenständig.
Man kann keinem Land die Erfindung des Billardspieles zuschreiben. Gewisse
Faktoren deuten jedoch in Richtung England, wobei durch den regen kulturellen
Austausch zur Zeit der Frührenaissance eine Verbreitung in höfischen Kreisen
Europas rasch stattfand.
Zeitvertreib des Adels
Im 16. Jahrhundert verbreitete sich das Billard in den
Residenzen und Universitäten angegliederten Ballhäusern, wo es neben
einer Frühform des Tennis zum festen Bestandteil der Einrichtung
gehörte. Noch war es ein Spiel des Adels und des oberen Soldatenstandes,
aber mit dem aufkommenden Bürgertum weitete sich der Kreis der
Ausübenden aus. Im 17. und 18. Jahrhundert, in einem Zeitalter der
Kämpfe zwischen Aufklärung und Absolutismus, durchlebte das
Billardspiel ein wechselvolles Schicksal. Die Sportausübung, oder besser
die Spielmöglichkeit für eine breitere Schicht hing im wesentlichen
vom Wohlwollen der königlichen Machthaber bzw. der Staatsraison ab. Eine
Vielzahl von Dekreten, Erlässen und Circularen schränkte das
Billardspiel stark ein, verbot es ganz, belegte es mit Sondersteuern etc. Die
Geburtsstunde des modernen Billardspieles hat mit der Erfindung der Lederkappe
im Jahre 1807 durch den Franzosen Francois Mingaud begonnen. Bis dahin war man
gezwungen, den Spielball möglichst zentral zu treffen.
Effetstöße und - was das Erstaunen der Billardwelt hervorrief -
Rückläufer waren nun möglich. Rasch nahm das Spiel seinen
Aufschwung und vor allem in Paris bildeten sich Meister heran, die den
Grundstock für die spätere Entwicklung legten.
Ein Spiel wird Sport
England, Pionier der meisten Sportarten, hat auch das Billardspiel durch
Aufstellung genauer Regeln und Abhaltung von Meisterschaften im Jahresrhythmus
zum Sport entwickelt. Die ersten Turniere wurden in der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts meist in Form von Herausforderungen ausgetragen. Bis ca. 1840
wurden die Points nur "auf Machen" gespielt, ein Positionsspiel war unbekannt.
Als Vater des Stellungsspieles wird der Franzose Romain angesehen.
1860 machte der 1836 geborene Franzose Mangin in Vichy mit 108 Punkten die erste
Hunderterserie, später gelang ihm noch eine Serie von 724 (ohne "Amerikanische
Serie").
1873 wurde die erste Weltmeisterschaft der Berufsspieler (Freie Partie)
abgehalten. Zwei Spieler aus den USA, zwei Kanadier und zwei Franzosen traten in
New York an. Sieger wurde der Pariser Garnier mit einem GD von 9,32 und einer
Höchstserie von 113.
1876 gab es etwas Neues zu sehen. Die kanadischen Brüder
Dion und der amerikanische Professional Sexton führten erstmals die
"Amerikanische Serie" öffentlich vor. Vier Jahre reichten aus, um diese Serie so
zu vervollkommnen, daß der berühmte Franzose Vignaux auf eine Serie von 1.103
des Amerikaners Slosson sofort mit 1.531 Punkten in Folge antworten konnte.
Um 1900 konstituierten sich viele nationale Verbände, und die strenge
Unterscheidung von Amateuren und Professionals wurde auch im Billardsport
eingehalten. Unter der Führung Frankreichs wurden seit 1903
Billardweltmeisterschaften der Amateure abgehalten (im Cadre 45/2). Die
Beteiligung von immer mehr Nationen führte 1912 zur Gründung eines
Weltbillardverbandes, der aber 1914 aufgrund des ausbrechenden Weltkrieges sein
Wirken einstellte. Die Geschichte des modernen organisierten Billardsportes
beginnt 1923 mit der Gründung eines neuen Weltverbandes. Seit dieser Zeit werden
regelmäßig Kontinental- und Weltmeisterschaften abgehalten.